Samstag, 7. Januar 2023

See you on the other side, Terry

Terry Hall und The Specials - das war mehr als nur Musik und Ästhetik, es war eine Symbiose aus Jugendkultur, Protest und ein gelebtes Gegenmodell zu Thatchers neoliberalem und gespaltenem Großbritannien.

Vergangenen Sonntag (am 18.12.) schleuderte es mir der Algorithmus hinter Google News, getrieben durch sein fast unheimliches Wissen um das, was mich "interessieren" könnte, ins Gesicht: Terry Hall war völlig überraschend im Alter von 63 Jahren seiner kurzen und schweren Krankheit erlegen. Er hatte zu den wenigen gehört, die ich - ohne generell anfällig für Starkult zu sein - einfach so gern noch zu Lebzeiten einmal getroffen hätte. Der schlanke Mann am Mikrofon mit dem immer etwas traurig blickenden Gesicht hatte uns verlassen.

Home - Terry Hall

Im Jahr 1979, als für mich alles begann, hing ich von morgens bis abends am Radio, und die Frequenz war auf den einzigen Sender eingestellt, den ich hörte, weil es dort die Musik aus dem Land gab, aus dem meine Helden kamen, weil dort einmal (oder mehrmals? ich erinnere mich nicht) jede Woche John Peel die Platten auflegte, weil dort englisch gesprochen wurde, was ich unbedingt verstehen lernen wollte. So wurde die britische Armee, die ein paar Kilometer weiter einen großen Truppenübungsplatz unterhielt, alle paar Monate mit ihren Panzern durch unser Dorf knatterte und die Bürgersteige ruinierte, mein heimlicher Verbündeter, denn sie hatte den British Forces Broadcasting Service - kurz BFBS.

Dort tauchten zu jener Zeit für mich völlig neue Klänge auf: so ähnlich wie Reggae (Bob Marley war mir schon ein Begriff), aber hektischer, schneller und lauter. Die erste Band, die dort immer wieder gespielt wurde, waren The Specials, und - ohne deren Texte zu verstehen, dazu reichte mein Englisch damals noch nicht aus - was ich da hörte, gefiel mir. Musikalische Stilrichtungen kamen und gingen, und so glitt auch diese Band wieder aus dem Fokus - es gab doch noch so vieles kennenzulernen. Ein Wiederhören gab es dann rein zufällig im Jahr 1988 auf der Insel Naxos in der Bar "Paradiso", wo damals ein dort irgendwie gestrandeter Ire auflegte:

Das kannten wir doch irgendwo her. Groovte gut. Wieder zu Hause ging es dann wieder einmal zu Schaulandt, und die zwei Alben der Band - Specials und More Specials landeten auf dem Plattenteller. Aber all das erklärt nicht, warum diese Band und eben Terry Hall, um den es heute gehen soll, so wichtig war?

Traumatischer Start ins Leben

Terry Hall, Jahrgang 1959, wuchs in der Industriestadt Coventry auf, einer Stadt mit vielen Immigranten, davon ein größerer Teil aus Jamaica stammend. Seine Eltern waren Arbeiter, sein Vater schwerer Trinker. Er war ein vielseitig begabtes Kind, zeigte beim Fußball großes Talent und hatte die Chance, im Jugendsystem von West Bromwich Albion aufgenommen zu werden, was seine Eltern aber untersagten, da sie die damit verbundenen vielen Reisen nicht wollten. Aufgrund seiner guten Noten bot ihm eine Grammar School in der Nähe einen Platz an, was seine Eltern aber ablehnten, da sie die Ausgaben für Bücher und Schuluniformen als Verschwendung ansahen.

More Specials

Im Alter von 12 Jahren wurde Terry entführt und an einen Pädophilenring in Frankreich verkauft. Wie er schließlich von dort entkommen konnte, ist unbekannt, aber an den Folgen dieses Erlebnisses hatte er für den Rest seines Lebens zu tragen. Es gab damals keine angemessenen Behandlungsmethoden für Fälle wie seinen, weshalb man ihm Valium gab, wovon er schließlich abhängig wurde. Er lebte fortan mit manisch depressiven Schüben, die schließlich in einen gescheiterten Selbstmordversuch im Jahr 2014 kulminierten. An dieser Stelle sei erwähnt, dass er erst dann eine richtige Therapie begann und sich - nach seiner Valium-Erfahrung stets in Angst vor neuer Abhängigkeit - letztlich dennoch mit geeigneten Medikamenten behandeln ließ.

Mit 15 Jahren verließ er die Schule und begann, sich mit Niedriglohnjobs durch das Leben zu schlagen. Für sein knappes Geld kaufte er sich Schallplatten und begann den Wunsch zu entwickeln, selber Musiker zu werden. Im Jahr 1977 schloss sich Terry als Sänger der Band "Coventry Automatics" an, die sich wenig später in "The Specials" umbenannte - und die Geschichte nahm ihren Lauf.

Coventry, die 1970er Jahre und Ska

Die 1970er Jahre, genau die Zeit, in der er erwachsen wurde, waren für Großbritannien dramatisch. Ökonomisch war das Land auf dem Weg nach unten, geprägt durch ständige Arbeitskämpfe und sich immer aggressiver äußernde soziale Spannungen, in deren Fokus zunehmend die Einwanderer aus den früheren Kolonien standen. Die National Front mit ihrer rassistischen Ideologie fand nicht nur mehr, sondern auch brutalere Anhänger, Immigranten forderten ihr Recht ein, erlebten aber auch von Seiten der überforderten Staatsmacht Unterdrückung, was zunehmend in Gewalt auf der Straße eskalierte.

Coventry, Terrys Heimatstadt, war als Industriestadt direkt betroffen. Gleichwohl stammte er selber wie auch viele seiner Freunde aus einem Milieu, wo die Kinder englischer und eingewanderter Eltern gemeinsam aufwuchsen und füreinander mehr Gemeinsames als Trennendes empfanden. Wie eines der Bandmitglieder später in einem Interview auf die Frage nach dem Zusammenleben von Schwarzen und Weißen erklärte, sei das überhaupt keine Frage gewesen - das sind einfach nur Deine Kumpels, mit denen Du aufgewachsen bist.

Es war dieser Mix, aus dem The Specials ihre ganz eigene Interpretation des Ska entwickelten - jamaikanische Rythmen kombiniert mit dem Tempo und der direkten Energie des Punk. Aber es ging hier nicht allein darum, tanzbar zu sein, die Band hatte von Anfang an den Anspruch, eine Botschaft zu vermitteln, Position zu beziehen gegen all den Hass und die Spannungen in ihrer Umgebung. 

2-Tone Records und Erfolg

Einher mit der Band ging zweierlei: das von Keyboarder Jerry Dammers gegründete 2-Tone Records Plattenlabel und das von Terry Hall entworfene Design des auf Second Hand Anzügen aus den 1960er Jahren und Pork Pie Hüten basierenden Outfits der Band, das sich auch im von Terry gezeichneten Logo des Labels widerspiegelte:

The Specials - More Specials, Chrysalis 2 Tone

Das erste Album Specials erschien im Jahr 1979 und wurde stilprägend für das Genre: es enthielt eine Mischung aus Coverversionen und Eigenkompositionen, von denen eine ganze Reihe später für sich zu Hits wurden. Kritiker beurteilten es überwiegend positiv, aber vor allem trug es zum schnell entstehenden Kult um die Band bei. Der erste Singleerfolg der Band war Gangsters:

Neben Specials tauchten auch weitere Ska-Bands auf, die ebenfalls auf 2-Tone unterkamen - etwa The Selecter mit ihrer charismatischen Sängerin Pauline Black, ebenfalls aus Coventry und Madness, die in London ohne Verbindung zur Szene in Coventry einen ganz ähnlichen Stil, sowohl musikalisch als auch visuell, entwickelt hatten.

Ska als politisches Statement

Anders als einige andere Ska-Formationen in jener Zeit war aber für The Specials die Musik stets mehr als Unterhaltung. Getreu dem Motto "mit meinen Kumpels" bestand die Band - was damals durchaus nicht üblich war - aus schwarzen und weißen Mitgliedern; die Frontman-Rolle teilten sich Terry Hall und Neville Staple in genau diesem Farb-Kontrast, und das schwarz-weiße Karomuster des Labels war auch hier Programm. Inspiration für die Texte der Lieder, für die sich meist Hall und Dammers verantwortlich zeichneten, waren die sozialen Spannungen ihrer Zeit, die Brutalisierung der Gesellschaft und auch zunehmend die spaltende, neoliberale Politik der Tories unter Margaret Thatcher, die im Mai 1979 Premierministerin geworden war.

Die Bedrohung durch rassistische Schläger wurde in Concrete Jungle thematisiert:

I'm going out tonightI don't know if I'll be alrightEveryone wants to hurt meBaby danger in the city

I have to carry a knifeBecause there's people threatening my lifeI can't dress just the way I wantI'm being chased by the national front

Concrete jungle, animals are after meConcrete jungle, it ain't safe on the streetsConcrete jungle, glad I got my mates with me

I won't fight for a causeDon't want to change the lawLeave me alone, just leave me aloneI want to get out on my own

I'm walking home tonightI only walk where there's lots of lightsIn the alleys and the doorwaysSome throw a bottle right in your face

Concrete jungle, animals are after meConcrete jungle, it ain't safe on the streetsConcrete jungle, glad I got my mates with me

I'm walking home tonightI only walk where there's lots of lightsIn the alleys and the doorwaysSome throw a bottle right in your face

I won't fight for a causeI don't want to change the lawLeave me alone, just leave me aloneI want to get out on my own

Concrete jungle, animals are after meConcrete jungle, it ain't safe on the streetsConcrete jungle, glad I got my mates with me

Ein weiteres wichtiges Lied vom ersten Album war "Too much, too young" (im Nachruf der BBC auf Terry Hall findet man ein Bild aus Coventry, wo auf einer Tafel die Worte "Too much too young - RIP Terry Hall 1959 - 2022" abgebildet sind), wo die Band auf originelle, aber sehr klare Weise das Problem früher ungewollter Schwangerschaften gerade in der Unterklasse anspricht:

You've done too much,Much too youngNow you're married with a kidWhen you could be having fun with me

Oh no, no gimme no more pickni

You've done too much,Much too youngNow you're married with a sonWhen you should be having fun with me

We don't want, we don't wantWe don't want no more pickni

Ain't he cute?No he ain'tHe's just another burdenOn the welfare state

You've done too much,Much too youngNow you're married with a kidWhen you could be having fun with me

No gimme, no gimme,No gimme no more pickni

Call me immatureCall me a poserI'd love to spread manure in your bed of rosesDon't want to be richDon't want to be famousBut I'd really hate to have the same name as you(You silly moo)

You've done too much,Much too youngNow you're married with a kidWhen you could be having fun with me

Gi we de birth control, we no want no pickni

You've done too much,Much too youngNow you're chained to the cookerMaking currant buns for tea

Oh no, no gimme no more pickni

Ain't you heard of the starving millionsAin't you heard of contraceptionDo you really a program of sterilizationTake control of the population boomIt's in your living roomKeep a generation gapTry wearing a cap!

Nach dem erfolgreichen ersten Album wurde ausgiebig getourt, bis zu dem Punkt, wo die Band an den Rand ihrer Kräfte geriet, und 1980 erschien das zweite Album. Wie zu erwarten gewesen war, goss die neue Tory-Regierung Öl in das bereits lodernde Feuer sozialer Unruhen, wodurch die Haltung der Musiker und ihre Inhalte immer mehr zur Ikone des Protests wurden. Hörenswert aus "More Specials" ist "Rat Race", wo es um privilegierte Studenten ging, die dann wie durch Selbstverständlichkeit eine Karriere im System und ein Leben in Wohlstand erwartete:

Übrigens ist dieses Lied auch im Intro des Debutalbums von Dexys Midnight Runners zu hören, über das ich in "Northern Soul" geschrieben habe. 

Auflösung und späte Wiederauflage

Der wohl größte Erfolg der Band war gleichzeitig auch ihr Ende. Ghost Town, ein bitterer Kommentar zur Situation der britischen Gesellschaft in jener Zeit, gilt heute für viele als das beste Werk der Specials, betrat aber stilistisch neue Wege, eine Abkehr vom Ska. Die Single schlug ein wie eine Bombe, aber die Bandmitglieder waren erschöpft vom vielen Touren, konnten einander nicht mehr ertragen und waren auch nicht alle mit der von Jerry Dammers vorangetriebenen neuen musikalischen Sprache einverstanden. Nach dem Auftritt in "Top of the Pops" verkündeten Staple, Hall und Golding ihren Austritt aus der Band. Ghost Town ist anders, aber unbedingt hörenswert. 

This town (town) is coming like a ghost townAll the clubs have been closed downThis place (town) is coming like a ghost townBands won't play no moreToo much fighting on the dance floor

Do you remember the good old days before the ghost town?We danced and sang, and the music played in a de boomtown

This town (town) is coming like a ghost townWhy must the youth fight against themselves?Government leaving the youth on the shelfThis place (town) is coming like a ghost townNo job to be found in this countryCan't go on no moreThe people getting angry

This town is coming like a ghost townThis town is coming like a ghost townThis town is coming like a ghost townThis town is coming like a ghost town

Es folgten einige Umbesetzungen, aber ohne die beiden Frontmänner konnte die Band nicht mehr an die alten Erfolge anknüpfen.

Im Jahr 2008 gelang es Terry Hall, einen Großteil der Originalbesetzung der Band - allerdings ohne Jerry Dammers - für eine Reunion zu gewinnen, und in den darauf folgenden Jahren bis zu Halls Tod trat diese Formation wieder unter dem namen "The Specials" auf. Hier sehen wir noch einmal "A Message to you, Rudy", nun aber viele Jahre später und live bei der Jools Holland Show:

Terry war bis zum Schluss als Musiker aktiv und erst noch im letzten Jahr mit der Band auf Tour gewesen. Sein Gesicht steht für eine Band, die nicht nur musikalisch stilprägend für ihre Epoche war, sondern auch durch ihr Eintreten für Gerechtigkeit, gegen Rassismus und Gewalt ein gelebtes Gegenmodell zu der beginnenden Thatcher-Ära bildete. 

Sein für uns alle überraschender Tod hinterlässt uns, seine Fans, die alten und die jungen, schockiert und traurig. 

See you on the other side, Terry!

 



Dieser Artikel ist urspünglich in der Freitag Community erschienen.

 


Anhang: einige Links zum Thema

  1. Interview mit Terry Hall, in dem er auf die 2Tone-Ära und die Zeit danach eingeht: Terry Hall - Talks about The Specials, Mental Health, Equality & more - Radio Broadcast 05/03/2019
  2. Pauline Black, Sängerin von "The Selecter", mit einem Nachruf auf Terry Hall: Terry Hall united black and white just as Stormzy does now. Music needs their ‘better vision’
  3. Film The Specials - Too Much Too Young Documentary
  4. Guter Livemitschnitt:  The Specials live in Japan 1980 HQ
  5. Der legendäre Musikfilm mit den 2Tone-Bands von 1981:  Dance Craze 1981 film the British 2 Tone music The Specials The Beat Body Snatchers Madness Selecter 
  6. Film Two-Tone and Ska’s HUGE Influence on Music  
 

 

Keine Kommentare :

Kommentar veröffentlichen