Eine persönliche Liebeserklärung
Gestern rannte ich in einen alten Bekannten. Frank Spilker heißt er, ist Sänger bei der Hamburger Band Die Sterne, und ich glaube nicht, dass er mich kennt. Und überhaupt war das mit dem Kennen auch eher so virtuell, youtube ist das Medium der Sozialen Distanz, und eben-da schleuderte es mich um rund 30 Jahre zurück in eine Zeit ungewöhnlicher Helden und großer Liebe.
Irgendwann zwichen Ende 1989 und Anfang 1990 brachte ich ein Vinyl-Doppelalbum nach hause: Geräusche für die 90er, ein Sampler verschiedener Bands des What's so funny about... Labels. Platte 1 begann mit einer Frühversion von dem hier:
Rumms. Das saß. Völlig eigenständiger musikalischer Stil, kryptischer Text in Deutsch, das war etwas, auf das ich kaum noch zu hoffen gewagt hatte, nachdem einige Jahre vorher, was mit Berlin begonnen hatte, in ein Tretboot in Seenot degeneriert worden war. Auf den beiden Platten (die ich mittlerweile samt Vinyl-Kratzern digitalisiert habe) gab es ansonsten verschiedenste Sachen, vieles auch in Englisch, aber eben auch einiges in Deutsch, was in eine ähnliche Richtung ging, etwa:
Das war neu, und ich wollte mehr. Also ab zu Michelle oder, weil da ein gut auf Indie gestellter Typ arbeitete, mit dem ich so manches langes Gespräch über Musik hatte, zu WOM unter dem Alsterhaus. Nur: vieles vom "Geräusche"-Album gab es zu dem Zeitpunkt "draußen" noch nicht, die entsprechenden Alben der enthaltenen Bands ließen mitunter noch Jahre auf sich warten. 1992 kam dann - endlich - das zweite Album von Cpt. Kirk &, auf dem auch das von mir immer noch heißgeliebte "Bad Saalschlacht" enthalten war. Reformhölle war radikal und expressiv:
Federt und teert sie, und jagt die Straßen aus der Stadt.
In den Straßen legt der Staat uns in Feuer und Flamme.
Ich will noch mehr Ruhe
Und will vorbei, ein kleines Hotel
Wo Sonne und Mond scheint,
Und wo Sonne den Mond nicht vertreibt.
Kommerziell war das wenig überraschenderweise nur mäßig erfolgreich, aber in diesem Jahr 1992 nahm die Sache Fahrt auf. Es gab ja kein youtube, worüber man sich mal kurz in die Dinge hätte hineinhören konnen, also war man auch ein bisschen auf Papier angewiesen, obwohl natürlich Frank Zappa recht hatte: Writing about music is like dancing about architecture. Sei's drum, irgendwann waren mir die Namen Blumfeld und Tocotronic oft genug über den Weg gelaufen, dass ich ein paar Mark zusammenkratze, in die Stadt fuhr und mit Ich-Maschine sowie Digital ist besser nach hause kam. Erstere eingeworfen, Lautstärke hoch, und ich war geflasht:
Eine Telefonnummer mehr
Du weißt, Du brauchst sie sehr
irgendwen ganz nah bei Dir und sagst:
Wenn Du leben willst, komm zu mir
aber eigentlich nur zu Dir.
Ein Lied mehr ist eine Tür
ich frag mich bloß wofür,
denn das, was dahinter liegt
scheint keinen Deut besser als das hier!
Da stellte sich also jemand hin und - unterlegt mit Geschraddel - deklamierte seine Wut und Verwirrung. Wenn das nun die "Hamburger Schule" sein sollte, dann war ich schon mal dabei!
Aber was hatte meine Stadt eigentlich überhaupt bis dahin in Sachen Popularmusik zustande gebracht? Beatles - geschenkt, da Import. Lindenberg und Onkel Pö - dafür war ich (leider) ein paar Jahre zu jung und habe diese Epoche erst sehr viel später kennen- und schätzengelernt. Dann war da noch Slime, die wir Anfag der 1980er zusammen mit Black Flag um Bierkästen herum von ausgeleierten Kassetten gehört hatten, aber Hamburg war uns zu der Zeit eher suspekt - die Stadt der Pfeffersäcke, wo Kultur nur stattfand, wenn sie Geld einbrachte, und das war im Resultat meist ziemlich mainstream.
Ende des Jahrzehnts sah die Sache aber schon anders aus: Nicht zuletzt durch Hafenstraße und Flora war Hamburg ein Zentrum von Subkultur geworden, die zusehens Spuren in Bürgerhäusern hinterließen. Man landete Mittwochs und Samstagnachts (dann aber erst ab 02:00 Uhr, wenn die Kinder raus waren) im Kaiserkeller, um zu Indie und Punkrock abzuzappeln, natürlich nicht ohne sich vorher im Lehmitz zum Vorglühen getroffen zu haben. Vielleicht war ich irgendwann in dieser Zeit sogar mal Diestelmeyer selbst begegnet? Gut möglich:
Zeittotschläger
auf ihren Wegen
heute Nacht gehöre ich zu ihnen
Zeittotschläger
für 5 Mark "Freiheit" und für 30 Mark Bier
wegen ihm oder ihr.
Das Blumfeld-Debütalbum ist vom ersten bis zum letzten Ton voll von über Jahre angestauter Lyrik und dabei so hörbar, dass die Tiefe mancher Worte erst Jahre später in mir explodierte - das meiste (siehe Ghettowelt) deklamiert, einiges (Zeittotschläger) gesungen. Damals, an jenem Tag im Jahr 1992, war danach erst einmal kein Platz für mehr.
Ich weiß nicht, wann ich überhaupt zum ersten Mal das Tocotronic-Album in den Wohnzimmeraltar stopfte, aber als es dann soweit war, schallte mir das hier entgegen:
Hä? Der hasst Fahrradfahrer in Freiburg? Ich konnte den Titel komplett nicht einordnen. Es gab auch (erst einmal) keinen Wow-Effekt, nur Ratlosigkeit - in teutonischer Verbissenheit fragte ich mich mit jedem Lied mehr, was das denn nun sollte. Nachdem ich 13 kurze Tracks lang ein großes Fragezeichen im Gesicht gehabt hatte, kam Nummer 14:
Gitarrenhändler, ihr seid Schweine
Gitarrenhändler, ich verachte euchEs ist gar nicht so leicht Musik zu machen
Darüber könnt ihr natürlich nur herzlich lachenGitarrenhändler, ihr seid Schweine
Gitarrenhändler, ich verachte euchGitarrenhändler, ihr seid Schweine
Gitarrenhändler, ich verachte euch zutiefst
Das war's. Ein breites Grinsen machte sich auf meinem Gesicht breit, der Beginn einer wunderbaren Freundschaft war gemacht. Von nun an sollte es gemeinsam weiter gehen. Nichts sollte uns mehr trennen, nicht das Älterwerden, nicht das Nachlassen von Wut und auch nicht dem irgendwann ausgeschöpften Vorrat an Ideen, denn das auf diesen paar wenigen kleinen silbernen Scheiben, die es zu der Zeit noch waren, würde ich fortan immer in mir tragen.
Bei diesen beiden blieb es nicht. Im selben Jahr war von Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs das Album Für Zuhause erschienen, das zu einer meiner letzten Vinyl-Platten wurde. Wie schon im Debutalbum von Cpt Kirk &, Stand Rotes Madrid, gab es auch hier nebeneinander Titel in englischer und deutscher Sprache. Was OZSWMK ausmachte, war das geradezu auf die Spitze geschriebene Schraddeln und Experimentierfreude:
Das Englisch war so unverhohlen deutsch, dass man es fast schon wieder liebhaben muste. Aber mein Lieblingstitel auf dem Album war das grandiose "Blues":
Der Hamburger Schule wurden auch Bands zugerechnet, die - zumindest meines Wissens - nicht aus Hamburg waren. Sicher spielte hier auch eine Rolle, bei welchem Label eine Band stand und dass sie stilistisch (Indie auf deutsch) ganz einfach passten. Eine dieser Bands war ja schon eingangs erwähnt worden. Das Kolossale-Jugend-Album Heile Heile Boches war bereits 1986 ursprünglich beim Hamburger Label L'age d'or (wie dann später auch Blumfeld) veröffentlicht worden, und es war seine fünf Jahre "vorher" wohl gleichzeitig ein Impuls und auch Vorgeschmack geworden auf das, was dann noch kommen sollte. Den kryptischen Texte eines Tobias Levin, dessen Debüt ja im selben Jahr erschienen war, stehen die von Kristof Schreuf nicht nach. Wir müssen die Zeit des expressiven "Aufbruchs" also ein wenig vorverlegen:
Bruch in allem, pausenlos
Fetzen auf dem Tisch im Haus
Bessere Zeiten klingt gut
Bessere Zeiten klingt gut
Jede Flasche lebe hoch.Gut Ding ohne Weile ist
klar im Augenblick und gut
Bessere Zeiten klingt gut
Bessere Zeiten klingt
Hoch in allem pausenlos.
Der Text hat bis heute nichts verloren und ist seitdem (leider) immer wieder hochaktuell geworden. Übrigens hat es das Album dann Jahre später sogar noch bis in die deutsche Ausgabe des Rolling Stone geschafft.
Auf Die Sterne stieß ich so ziemlich zum Schluss, nicht zuletzt war wohl der Name schlechtes Marketing - ich hatte die Band fälschlicherweise zunächst eher in der Schlagerecke verortet. Welch ein Fehler das gewesen wäre! Sänger und Texter Frank Spilker drückt sich weniger kryptisch aus, aber ihn eint mit den anderen, dass er die Untiefen abgedroschener Muster gekonnt umschifft und dabei etwas ganz individuelles schafft, hier aus Wichtig:
Schon bei der Geburt dem Wahnsinn anvertraut
Und der senkt sich wie eine Nadel in die Haut
Läßt dich milde lächeln, meistens Gruseln
Viel zu viel billige Fusel
Weil Wirklichkeit hier heißt zu funktionieren
Und nach Möglichkeit dabei nicht die Nerven zu verlieren
Wirst Du gejagt und die ganze Nation (ist)
Irgendwie doch im Rösner-Degowski-Syndrom
Es war schon immer teuer jetzt wird's exotisch
(Hier)
Weitere Perlen gab es 1996 auf Posen:
All diese Jahre. Mit manchen von ihnen hast
du geschlafen, mit anderen nicht, ab und
zu hast Du gedacht es ist auch ganz gut,
daß das passiert, was passiert ist:
Selbstbetrug. Immer hat sich irgendwas
ergeben, und es gab immer genug zu bereden.
Es gibt Themen genug in deinem eigenem Leben,
und wenn sie einmal ausgehen, gibt es Themenläden.
Zwischendurch, der Beschluß,
Wir sind doch eigentlich ganz froh,
Doch dann schaust du raus und erkennst:
Die Verhältnisse, die sind nicht so.
Vielleicht bist du aber auch ganz gut darin,
Das nicht zu bemerken.
Fließt da überhaupt noch Blut in deine Füße,
In deinen kindischen Gerechtigkeitssinn.
Immer Schwierigkeiten,
Immer gerade so zu schaffen,
Und so macht man sich auf Dauer 'halt zum Schwierigkeitenaffen,
Trifft befreundete Primaten in den Kneipen und im Garten -
Wartend auf die große Sause.
Oder einfach nur oder besser noch,
Die große Pause.
Was passierte danach? Zwar ist die "Hamburger Schule" nie im gleichen Maß verheizt und durch minderwärtige Kommerzialisierung umgebracht worden wie die Neue Deutsche Welle in den 1980er Jahren, aber Zeit ist ein Miststück. Wir wurden älter, meine Helden und ich, wir trennten uns, fanden wieder zusammen, erfanden uns neu, mal zum besseren, mal zum schlechteren. Ich hielt ihnen noch eine ganze Weile die Treue, bis ich dann merkte, dass wir uns auseinander gelebt hatten. Diestelmeyer war verliebt und nicht mehr wütend. Tocotronic blieben sympathisch, verloren aber ihre Scheißegal-Schnodderigkeit, schufen immerhin mit "Pure Vernunft darf niemals siegen" die für Jahre beste denkbare T-Shirt-Beschriftung. Andere versanken schlicht in der Versenkung, und schließlich hatten auch ganz einfach Leute woanders Ideen, die so gut waren, dass man dann dort mehr hinhörte. Passend dazu soll deshalb, nachdem er schon den Einstieg geliefert hatte, Frank Spilker das Schlusswort haben:
Dieser Artikel ist ursprünglich in der Freitag Community erschienen.
Die Musik aus diesem Artikel gibt es auch (mit ein paar "Bonustracks" in einer öffentlichen Youtube-Playliste.
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